Akademie der Dinge in Dresden
Die Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) begeht im Jahr 2014 den 250. Jahrestag ihrer Gründung. Auf Einladung der Kunstakademie wird aus diesem Anlass der international renommierte InstallationskünstlerMark Dion erstmalig ein Projekt in Dresden realisieren.
Ausgangspunkt für Mark Dions (*1961, USA) bislang größte Einzelausstellung in Deutschland sind jene Dinge, die in den Sammlungen der Kunsthochschule und der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden verborgen sind. Das Gesamtwerk des documenta‐Teilnehmers reicht von Zeichnungen und Grafikfolgen über Videobänder, Fotoessays, Skulpturen, Installationen und Dioramen bis hin zu Expeditionsreisen. Dafür arbeitet Mark Dion weltweit mit Museen und Sammlungen zusammen und macht in seiner künstlerischen Praxis diesen Autoritäten des Wissens die alleinige Interpretationshoheit streitig.
Auch in Dresden durchforstet Dion die Depots und Archive der weltberühmten Einrichtungen, um tradierte Ordnungssysteme zu befragen, mit denen Objekte aus der ganzen Welt gesammelt und präsentiert werden. Dafür transformiert der Künstler vermeintlich festgeschriebene Klassifikationen und stellt historische Sammlungskontexte zur Diskussion, indem er die Gegenstände der Sammlungen in komplexen Installationen neu anordnet. Aus seinen Expeditionen in diese sonst unsichtbaren Speicher entsteht so in den hochschuleigenen Ausstellungsräumen im Oktogon eine Akademie der Dinge, in der die Schätze der Institutionen neu in den Blick genommen werden. In Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden erweitert Mark Dion seine Ausstellung durch zwei „Satelliten“ im Grünen Gewölbe und im Albertinum.
Für Mark Dion, der selbst passionierter Sammler von Dingen aller Art ist, birgt die Sammlung der Kunstakademie Dresden mit ihrer nahezu enzyklopädischen Vielfalt einen umfangreichen Fundus. Die Bildersammlung der HfBK mit über 1500 Objekten – darunter wertvolle Gemälde von Casanova, Kügelgen oder
Matthäi und eine zehntausende Blätter zählende Sammlung von Studienarbeiten – repräsentieren die künstlerischen Tätigkeiten aus mehr als 250 Jahren.
Academy of things: The temporary art gallery
Im Oktogon der Hochschule wird diesen Kunstwerken eine temporäre Pinakothek eingerichtet. Das Hauptinteresse liegt auf den zahlreichen Artefakten aus dem Lehrbetrieb – Gipsabgüsse, Glasdiapositive, Pigmente oder Röntgenbilder. Höhepunkt dieser Lehrmittelsammlungen sind die einzigartigen anatomischen Modelle und Präparate zur Human‐ und Tieranatomie: Mit über 500 Objekten besitzt die Kunsthochschule Dresden die umfangreichste und vollständigste Lehrsammlung in Deutschland. Mark Dion rückt diese Sammlung und
ihre ideologischen Implikationen in den Fokus des Projekts und wird die bislang nur in Teilen öffentlich zugänglichen Modelle zur Diskussion stellen. Mit seiner interdisziplinären Arbeitsweise macht der Künstler die Geschichte(n) der Exponate, aber auch ihre Verluste durch Kriege oder Reformen im Unterrichtsbetrieb sichtbar. Innerhalb dieser institutions‐ und ideologiekritischen Feldforschungen, in denen auch die mitunter eigensinnigen Bedeutungen der Dinge evident werden, geht es darum, die Kunstakademie als Ort künstlerischen Handelns und als Impulsgeber für nicht‐museale und abwegige Ausstellungsformen in Erscheinung treten zu lassen.
New Curiosities for the Green Vault
Zwei Satelliten des Projekts werden sich auf unterschiedliche Weise mit den Gegenständen des Museums, ihren Vergangenheiten und Ordnungen beschäftigen. Für das Historische und das Neue Grüne Gewölbe – der erst vor wenigen Jahren wiedereröffneten spektakulären Schatzkammer Dresdens – greift Dion das Konzept des Kuriositätenkabinetts auf. Es entstehen neue Objekte, die inmitten der historischen Inszenierung in der ständigen Präsentation im Schloss gezeigt werden. Mit diesen „New Curiosities for the Green Vault“ zieht die Dingwelt
des Alltags in das fürstliche Kuriositätenkabinett ein und es entsteht die Frage, ob Wunder und Staunen noch gültige Kategorien für die Rezeption der materiellen Kultur einer industrialisierten Welt darstellen.
Wild Animal Salon
Im Albertinum, dem Domizil der Galerie Neue Meister und der Skulpturensammlung, richtet Mark Dion einen „Wild Animal Salon“ ein, eine Bestandsaufname der in der Sammlung vorhandenen Gemälde wilder Tiere von der Frühen Neuzeit bis in das 20. Jahrhundert. Der Künstler kommentiert in seiner Praxis immer wieder das 19. Jahrhundert und seine Ordnung der Dinge. Deshalb findet sich in diesem außergewöhnlichen Salon – statt der damals hoch angesehenen Gattung des Portraits und des Historienbildes – ausschließlich das im akademischen Diskurs lange marginalisierte Genre der Tierdarstellung. Durch diese Auswahl befragt der Künstler das Kategorisieren in musealen Sammlungen. Dabei wird deutlich, dass innerhalb von kuratorischer wie künstlerischer Praxis schon immer das Verhältnis von Mensch und Tier und von Kultur und Natur – mithin ökologische Fragen – ausgehandelt wurden.
Die künstlerischen Experimente im Oktogon der HfBK Dresden und die zwei Satelliten im Grünen Gewölbe und im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sollen neue Zugänge für den zukünftigen Umgang mit den ausgestellten Gegenständen erschließen. Wie können Dinggeschichten sichtbar gemacht werden? Welchen Status haben beschädigte oder ruinöse Objekte? Welche Neuordnungen sind denkbar? Und welchen Status spielt die materielle Kultur vergangener Jahrhunderte in der Lehre der Gegenwart?
Die Dinge und die Orte der Kunst sind im zeitgenössischen Kunstsystem untrennbar miteinander verbunden. Allerdings dienen die Sammlungsgegenstände nicht mehr der Bestätigung vorhandenen Wissens, sondern eröffnen neue Felder des Möglichen. Für Mark Dions „Akademie der Dinge“ werden die Räume der teilnehmenden Institutionen verwandelt und die Geschichten der Objekte aus einer künstlerischen Perspektive neu erzählt.
Der Künstler Mark Dion
Mark Dion wurde 1961 in New Bedford, Massachusetts, geboren und lebt in New York. Er ist Direktor der alternativen Kunstschule „Mildred’s Lane“, Pennsylvania, und hatte Einzelausstellungen in renommierten Museen, etwa in der Tate Britain (2000), im MoMA (2004), im Miami Art Museum (2006), der Kunsthalle Krems (2009) sowie im Musée Océanographique (2011). Dion nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen, unter anderem an den Skulptur Projekten Münster (1997), der Biennale of Sydney (2008) und der documenta 13 in Kassel (2012), teil. Seine Ergebnisse präsentiert Dion in ortssensiblen, musealen Installationen, die zwischen Jahrmarktsattraktion und Dokumentation changieren. Mark Dion ist Künstler, leidenschaftlicher Naturforscher und Sammler, der immer neue Kuriositäten und faszinierende Wissensdinge der Vergangenheit zutage fördert. Zugleich sind seine komplexen Installationen von einem spielerischen Skeptizismus gegenüber der Autorität von Institutionen geprägt. Diese künstlerische Strategie macht ihn zu einem der wichtigsten Vertreter der Institutionskritik.